5.2 Elektrofeldsensor

von Andreas Thaler

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Beschreibung der Schaltung

 

Wenn man mit Schuhen auf einem Teppich oder auf einem Kunststoffboden herumschlurft, kann man sich leicht mal so weit elektrisch aufladen, dass die Entladung an einer Türklinke richtig weh tut. Der Körper erreicht dabei Spannungen von einigen tausend Volt. Jeder kennt auch Versuche, bei denen ein Kamm oder ein Lineal an einem Tuch gerieben wird und sich dabei elektrisch auflädt. Dabei entstehen elektrische Kräfte, mit denen man Papierschnipsel bewegen kann. Elektrische Aufladungen gibt es immer und überall, aber meist bemerkt man sie nicht, weil sie zu klein sind. Mit zwei Transistoren kann man sie aber leicht nachweisen.

Der Versuch verwendet wieder eine Darlington-Schaltung, mit der sich kleinste Ströme verstärken lassen. Der Eingang ist aber nirgendwo angeschlossen. Wenn nun eine elektrische Kraft auf einen Draht oder die Kupferbahn der Platine wirkt, werden Elektronen angezogen oder abgestoßen. Elektrische Kräfte verschieben also elektrische Ladungen. Dadurch entsteht ein winziger Strom, der durch die Darlington-Schaltung verstärkt und mit der LED angezeigt wird.

Zum Test kann man nun einfach eine Hand annähern und wieder zurückziehen. Wenn die LED beim Annähern aufleuchtet, war der eigene Körper positiv aufgeladen. Wenn sie beim Zurückziehen der Hand aufleuchtet, war man negativ geladen. Man kann aber auch die ganze Platine in die Hand nehmen und umhergehen. Oft wird dann die LED bei jedem Schritt einmal aufleuchten.

Auch elektrische Wechselfelder in der Nähe von Netzkabeln können nachgewiesen werden. Bei einem starken Wechselfeld leuchtet die LED scheinbar dauerhaft. Aber wenn man genauer hinsieht, erkennt man ein schnelles Flackern. Die LED geht 50mal in der Sekunde an und aus. Die Empfindlichkeit der Schaltung kann sehr einfach erhöht werden, indem man den Minuspol berührt.

Die Ähnlichkeit mit dem Berührungssensor aus dem vorigen Versuch fällt jedem gleich auf. Und tatsächlich kann man die LED auch durch Berühren von zwei Kontakten einschalten. Man muss auch gar nicht so genau treffen. Es reicht, wenn man von oben auf die Kontakte auf der Plus-Seite fasst.

 

Erste Begegnung mit Wechselspannungen

Als ich vor einigen Monaten die Beschreibung zu dieser Schaltung las und den Versuch auf dem Steckbrett aufgebaut hatte, war ich sehr zufrieden. Ich hatte den elektronischen Hintergrund soweit verstanden, alles funktionierte wie beschrieben, ein Erfolgserlebnis stellte sich unmittelbar ein. Ich protokollierte den Versuch und widmete mich dem nächsten Experiment aus den „Grundschaltungen“.

Nun stehe ich vor der Aufgabe, diese Schaltung im Schaltungssimulator aufzubauen und vorzustellen. Nur finden sich in EveryCircuit unter all den virtuellen Bauteilen leider keine Hand und auch kein Finger, mit denen ein elektrisches Feld simuliert werden könnte. Und wenn ich die Schaltung am iPhone aktiviere und mit ihr umhergehe, passiert auch nichts mit der LED, sie bleibt dunkel.

Was also tun?

Nach einigen erfolglosen Überlegungen und Ansätzen gab ich meine Versuche auf und fragte Burkhard Kainka, wie ich die Schaltung im Simulator nachbilden könnte. Seine Antwort kam rasch und sie rüttelte mich sanft auf:

„Gerade habe ich mal geschaut, was die Folgekapitel bringen. Das wird nicht leicht zu simulieren. Die elektrischen Felder im Versuch 5.2 ‚Elektrofeldsensor‘ können Sie mit einem Sinusgenerator mit 1 Hz/50 V und einem Kondensator mit ein paar Picofarad zum Eingang simulieren.“

Uh, jetzt musste ich mich doch mit dem Thema Wechselspannungen beschäftigen, das ich bisher peinlich gemieden hatte!

Zu kompliziert erschienen mir die verschiedenen Spannungskurven und das seltsame Verhalten von Kondensatoren und anderen elektronischen Bauteilen in diesem Hin und Her der Elektronenströme. Zu meinem Glück stellte sich rasch heraus, dass alles nur halb so schlimm ist mit den unsteten Spannungen und Strömen. Und dass sich Kondensatoren (und Spulen) unter Wechselspannung eigentlich sehr nützlich verhalten, zB können sie dem Wechselstrom Widerstand entgegensetzen. Und das Schöne daran: Auch der kapazitive Widerstand eines Kondensators kann in den vertrauten Ohm angegeben werden ;-) Mehr dazu unten.

Hier nun die modifizierte Schaltung nach Angabe von Burkhard Kainka

Hinzugekommen zur Originalschaltung ist eine Wechselspannungsquelle 1 Hz/USS = 100 V, die über einen Kondensator mit 3 pF an den Basiswiderstand einer Darlington-Schaltung angeschlossen ist.


 

Wofür stehen nun die Wechselspannungsquelle und der Kondensator? Wie kann damit ein elektrisches Feld simuliert werden, das – verstärkt über die Darlington-Schaltung – die LED zum Aufleuchten bringt?

Dazu Burkhard Kainka:

„Wenn ich meine Füße bewege, entstehen Spannungen von ca. 100 V bis 1000 V, in erster Näherung sinusförmig. Um meinen Körper herum bildet sich dann ein elektrisches Feld, das bei einer Änderung eine Ladungsverschiebung auf einem Draht erzeugt. Draht und ich bilden einen Kondensator von rund 1 pF. Die Wechselspannung des Körpers hat die Frequenz der Fußbewegung, also ca. 1 Hz. Mit dem Oszilloskop und Teiler 10 : 1 kann man das direkt beobachten, aber es bleiben nur ein paar Millivolt übrig. Der Verschiebungsstrom kann bei 10 nA liegen. Interessant wird, ob die Simulation auch den ersten Durchbruch der Basis erkennt.“

 

Simulation im Schaltungssimulator EveryCircuit

Gehen wir es an.

Das virtuelle Oszilloskop im Simulator misst drei Potentiale gegen Masse:

·        ORANGE: Pluspol der Wechselspannungsquelle 1 Hz/100 USS

·        GRÜN: Spannung an der Basis von T1

·        VIOLETT: Eingang Kollektor T2



Die Wechselspannungsquelle erzeugt eine sinusförmige Spannungskurve mit den beiden Scheitelwerten in der Höhe von jeweils 50 V (ORANGE). Diese Spannung liegt an der Reihenschaltung C1, R1, sowie den beiden Basis-Emitterstrecken von T1 und T2. Diese vier Bauteile/Strecken bilden zusammen einen sogenannten „Scheinwiderstand“ oder auch „Impedanz“. Dabei fällt am Kondensator die meiste Spannung ab.

Der Scheinwiderstand einer Reihenschaltung aus Kondensator und Widerstand kann nach der Formel

Z2 = R2 + XC2

berechnet werden, wobei R für den ohmschen Widerstand und XC für den sogenannten „kapazitiven Blindwiderstand“ des Kondensators steht. Beide zusammen ergeben den Scheinwiderstand Z.

Liegt an einem Kondensator eine Wechselspannung an, so wird der Kondensator periodisch, der jeweiligen Frequenz folgend, ge- und entladen. Dabei verhält sich der Kondensator wie ein Widerstand.

Zur Berechnung des Scheinwiderstandes nehme ich einmal mehr Electronics Engineering ToolKIT PRO (eine App für iOS) zur Hilfe.

Nach Eingabe von ohmschem Widerstand (10 KOhm), Kapazität (3 pF) und Frequenz (1 Hz) ergibt sich als Scheinwiderstand Z (Impedanz) ein beachtlicher Wert von 53,05 GOhm:


Unberücksichtigt dabei ist der Gesamtwiderstand der beiden Basis-Emitterstrecken von T1 und T2, der vermutlich aber wenig zusätzlich beitragen wird.

Wechselspannungskurven und ihre Deutung

Das virtuelle Oszilloskop zeigt, dass an der Basis von T1 (GRÜN) nur eine verhältnismäßig kleine Plusspannung anliegt und in Gegenrichtung eine bedeutend größere Negativspannung.

Diese Verteilung ergibt sich aus der Diodenstrecke Basis – Emitter. Die Diode lässt Strom von der Anode (Plus) nach der Kathode (Minus) durch, jedoch nicht umgekehrt, wobei die jeweilige Durchbruchspannung ausschlaggebend ist, ab der die Diode dann doch wieder stärker leitet.

EveryCircuit arbeitet mit generischen Bauteilen, die durch Eingabe einiger Werte angepasst werden können. Da die Durchbruchspannung der Emitter-Basisstrecke weder bekannt ist noch eingegeben werden kann, geht das Programm für diese Schaltung von einem negativen Spannungsabfall in der Höhe von ca. 25 Volt aus.

Sobald die Spannung an der Basis in den Plusbereich kommt (max. 1,21 V), schaltet T1 nach Überschreiten der Schwellspannung an der Basis-Emitterstrecke durch. Der Kollektorstrom von T2 wird zu einem Teil zum Kollektorstrom von T1, der den Basisstrom von T1 verstärkt. Der Emitterstrom (Basisstrom plus Kollektorstrom) von T1 wiederum bildet den Basisstrom von T2, der T2 durchschaltet und auf den Kollektorstrom von T2 verstärkt wird.

Der Augenblick des Durchschaltens beider Transistoren ist sehr kurz, nur in diesem Moment lässt der Kollektorstrom von T2 die in Reihe geschaltete LED kurz aufblitzen. Die positiven Amplituden der Basisspannung von T1 verlaufen folglich synchron mit den Kollektorstromspitzen von T2 (ROT). Interessant dabei ist, dass die Stromspitzen immer kleiner werden.

Dazu Burkhard Kainka:

„Die Stromspitzen werden in Folge immer kleiner, weil der Kondensator sich in der Simulation immer weiter negativ auflädt. In der Realität stellt sich irgendwann ein Gleichgewicht ein, weil ab -8 Volt ein Gegenstrom fließt.“

 

 

 

Was zeigt die Spannungskurve am Kollektoreingang von T2?

Auf jeden Fall ein Phänomen, denn die Amplitude (Spannungskurve VIOLETT) erreicht 16,1 Volt bei einer Speisespannung von nur 9 Volt. Und das ist nicht erklärbar, denn selbst bei einer hochohmigen Kollektor-Emitterstrecke kann nur maximal die Höhe der Speisespannung abfallen.

Irrt hier die Simulation?

Dazu wieder Burkhard Kainka:

„Ich habe es vermutet: Die Simulation kennt den ersten Durchbruch der Basis-Emitter-Diode nicht, die Basisspannung sinkt bis -25 Volt, in der Realität jedoch nur bis -8 Volt. Deshalb weichen die Ergebnisse etwas von der Realität ab. Aber der Anstieg der Kollektorspannung kurz vor der Leitungsphase ist reell.“

Mit einem echten Oszi sehe ich am Eingang eine Begrenzung zwischen +1,5 Volt und ca. -18 Volt (erster Durchbruch der Basis-Emitter-Strecken). Wenn es das nicht gäbe, würde sich der Eingangskondensator so weit negativ aufladen, dass alles sperrt. Am Kollektor wäre die höchste Spannung UB – Uled und die kleinste nahe Null.“

Daher lasse ich einmal die in der Simulation angezeigten Spannungswerte unberücksichtigt und sehe mir nur den Verlauf der beiden Spannungskurven (Spannung am Kollektoreingang VIOLETT und Basisspannung T1 GRÜN) an.

Hier ist zu sehen, dass mit kleiner werdender negativer Basisspannung die Spannung am Kollektorwiderstand zunimmt (VIOLETT). Die Ursache dafür liegt in der Kapazität der Basis-Kollektor-Diode.

Burkhard Kainka hat diesen Vorgang untersucht und in seinem Labortagebuch unter „AC-gesteuerter Transistor“ protokolliert.

 

Fazit

„Mit Wechselspannungen wird mehr möglich aber es wird auch komplizierter“ ist mein erster Gedanke. Und es stimmt. Es müssen neue Begriffe, Zusammenhänge und Formeln verstanden werden. Durch die Polaritätsumkehr fließt Strom nun auch in Gegenrichtung, was man beim Gleichstrom natürlich nicht berücksichtigen muss. Sperrspannungen bei Halbleitern wie Dioden und Transistoren werden plötzlich ein Thema, Datenblätter müssen neu gelesen werden. Und es kommen Scheinwiderstände dazu, die eine ohmsche und eine kapazitive/induktive Komponente haben. Frequenzen spielen eine Rolle und damit die Zeit, in der eine Periode abläuft.

Kurz – es kommt Bewegung in die bis dahin so beschauliche Steckbrettlandschaft!

Auf jeden Fall lohnt sich der Lernaufwand. Versteht man die Grundlagen der Wechselspannung, so eröffnen sich Anwendungsgebiete im Nieder- und Hochfrequenzbereich: Audioschaltungen mit Verstärkern und Mikrofonen als Wechselspannungsgeneratoren, Radioempfänger oder Funktechnik. Und nicht zuletzt versteht man auch die Netzspannung zu Hause besser, nämlich als reine Sinuskurve mit einer Frequenz von 50 Hertz und einem Effektivwert in der Höhe von 230 Volt. Damit kommt man weiter zum Thema Schaltnetzteile und Transformatoren, die sich uA. in Haushaltsgeräten finden, Schaltpläne dazu werden verständlicher usw. …

Allerdings: Finger weg von der Netzspannung, wenn man zwar interessiert aber Laie ist! Die Elektronik soll Hobby bleiben und gegebenenfalls nicht zu einer Frage von Leben und Gesundheit werden.

Vielen Dank an Burkhard Kainka für die fachliche Unterstützung bei diesem Beitrag!

 

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Eine sehr gut verständliche Einführung in das Thema Wechselspannung (aber nicht nur) habe ich in

Elementare Elektronik, Klaus Beuth und Olaf Beuth, Vogel Fachbuch, 2013

gefunden. Hier wird uA. auch das Thema Scheinwiderstand erörtert.