
Der Kosmos-Radiomann mit den Röhren DM300, EF98 und ECC82 – ein Rückblick
von Klaus Leder
In dem Artikel „100 Jahre Radio – Eine Liebeserklärung“ schrieb der
Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats, Herr Olaf Zimmermann, am
29.Oktober 2021: „Die Elektronenröhren gehören für mich zu den
wichtigsten Erfindungen der Menschheit. In einem kleinen Glaskolben,
aus dem die Luft entfernt wurde, wird die Kathode zum Glühen gebracht,
sie stößt Elektronen aus, die zur Anode am anderen Ende des Kolbens
fliegen. Durch unterschiedliche von außen steuerbare Gitter in der
Röhre kann dieser Elektronenfluss zur Gleichrichtung, Verstärkung oder
Modulation elektrischer Signale verwendet werden. Ohne diese Erfindung
wäre die moderne Elektronik nicht denkbar. Heute sind Elektronenröhren
nur noch sehr selten in Gebrauch, sie wurden von den Transistoren
abgelöst. Aber, und das ist in einer Zeit der Debatte um Nachhaltigkeit
auch wichtig, viele der alten Röhren sind immer noch betriebsfähig. Ich
selbst habe schon Schaltungen mit Röhren aufgebaut, die fast 100
Jahre alt waren und immer noch ihr Vakuum im Inneren gehalten haben.
Und Elektronenröhren sind einfach wunderschön! Wenn die Röhre arbeitet,
glimmt die Kathode sanft. Der Kolben wird warm und durch das Glas
schaut man in das kleine Wunderwerk der Technik. Ich liebe diese alten
Dinger einfach.“
Diese nostalgische Liebe zu Röhrenradios teilen wohl viele Ältere unter
uns. Und in den meisten Fällen wurde die Faszination der Vakuumröhren
in unserer Jugendzeit durch den Radiomann entfacht, den legendären
Experimentierkasten des Kosmos-Verlags. Der Erfinder der
Kosmos-Experimentierkästen, der Schweizer Reallehrer Wilhelm Fröhlich
(1892-1969), hatte die Idee, Materialien für einen vielfältigen
Zusammenbau von Apparaten für Schülerexperimente zusammenzustellen. Der
jahrzehntelange Erfolg der Baukästen Elektromann (1930), Optikus
(1932), All Chemist (19332), Radiomann (1934) und Technikus (1935)
beruhte auf den Jugendliche sehr ansprechenden Anleitungen mit
perspektivischen Zeichnungen. Der Radiomann von Fröhlich hatte eine
fast 40-jährige Erfolgsgeschichte mit 23 Auflagen. Als ich neulich eine
Röhre DM300 und einen Kosmos-Experimentierkasten Radiomann aus dem Jahr
1956 geschenkt bekam, war die Neugierde groß: Würde ein Audion mit der
Vakuumröhre auch nach ca. 70 Jahren noch funktionieren?
Deckelbild des Lehrspielzeugs „Radiomann“, 10. Aufl. Kosmos 1956
1. Aufbau: Audion mit induktiver Rückkopplung und Röhre DM300
Die neuere DM300 ist eine Doppelgitterröhre, die von der
holländischen Firma Radio-Record, Tilburg, in den 1950er Jahren
hergestellt und von Kosmos für Versuche im Radiomann eingesetzt wurde.
Als erstes prüfte ich, ob der Heizfaden intakt war und die 4 Elektroden
keinen internen Kurzschluss aufwiesen. Das Steuergitter g1 ist bei der
neueren DM300 an einen Stift des Sockels, das Schirmgitter g2 an einer
Seitenschraube angeschlossen. Wolfgang Holtmann hatte herausgefunden,
dass es vor 1950 eine ältere Version der DM300 gab, bei der die
Anschlüsse der beiden Gitter vertauscht waren (Radiomuseum, Die Röhren
im Radiomann, Teil 1, 27. Dez. 03).
Anschlüsse der Röhre DM300 (Radiomann, 10. Aufl., S. 29, 1956)
Nach der Anleitung zum Versuch 75 "Die Rückkopplung" baute ich auf dem
Holzbrett das Audion mit der DM300 und den beiden Flachspulen auf.
Aufbau des Audions mit induktiver Rückkopplung mit der Röhre DM300
Die Anschlüsse der Rückkopplungsspule sind im Schaltschema der
Anleitung falsch gezeichnet worden, werden aber im Text richtig
beschrieben. Kosmos gab als Heizspannung 4 V, als Anodenspannung 12-20
V an. Anstelle von drei Flachbatterien mit 13,5 V nutzte ich 18 V aus
zwei 9-Volt-Blockbatterien.

Schaltschema mit vertauschten Anschlüssen der Rückkopplungsspule (Anleitung Kosmos 1956, S. 45)

Schaltbild für Kosmos-Audion mit Rückkopplung und Röhre DM300 von W. Holtmann (Radiomuseum DM300_new)
Aufbauzeichnung Versuch 75 „Die Rückkopplung“, Anleitung S. 44, Kosmos 1956
Mit einer Zimmerantenne von ca. 8 Metern Draht und einer Erdung über
ein Zentralheizungsrohr gelang mir in den Abendstunden ein überraschend
guter Empfang von Sendern aus Rumänien, Italien und England.
Allerdings musste die Verbindung vom Schirmgitter (g2) zum Pluspol der
Anodenbatterie entfallen. Auch beim Anschluss von g2 an +9 Volt sperrte
die Röhre. So beging ich die Sünde, das Bremsgitter im leeren Raum
enden zu lassen und nutzte die DM300 als Triode.
2. Aufbau: Audion mit induktiver Rückkopplung und der Röhre EF98
Versuchsaufbau Audion mit induktiver Rückkopplung mit Flachspulen und der Röhre EF98
Nach dem erfolgreichen Test der DM300 sollte der alte Radiomann-Aufbau
mit der „modernen“ Röhre EF98, einer indirekt geheizten Pentode, die
Kosmos seit den 60er Jahren nutzte, verglichen werden. Die EF98 war
ursprünglich für Autoradios entwickelt worden. Kosmos gab folgende
Röhren-Daten an: Anodenspannung: 9 – 30 Volt, Anodenstrom 3 mA,
Heizspannung 4,5 – 6,3 Volt, Heizstrom 180 – 300 mA, Außenwiderstand 6
K. Aufgrund des hohen Heizstroms hatten Radiobastler damals schnell
ihre Flachbatterien verbraucht. Für die Heizung der EF98 wurden in
diesem Aufbau 4 AA-Zellen eingesetzt, zwei 9-Volt-Blöcke lieferten
wieder die Anodenspannung. Die Empfangslautstärke war deutlich
verbessert. Auch ohne Rückkopplungsspule ergab sich am Abend ein guter
Empfang ausländischer MW-Sender.
Aufbaubild und
Schaltbild für Audion mit Rückkopplung mit der Röhre EF98 und
Zylinderspulen. Aus Anleitungsbuch Radiomann, Versuch 106, Die
Rückkopplung. 22. Aufl. 1970, S.74
3. Aufbau: Audion mit EF98 und Rückkopplung mit Drehkondensator
Deckelbild und Versuchsaufbauten der 13. Auflage des Radiomanns 1960
Mit der 13. Auflage des Radiomanns 1960, begann bei
Kosmos-Experimentierkästen ein neues Zeitalter. Erstmals standen
Germaniumdiode und Transistor als Bauelemente im Mittelpunkt des
Versuchprogramms. Die Experimente wurden nicht mehr auf
Buchenholzbrettern mit gedrehten Steckerklemmen aus Messing aufgebaut
sondern auf Kunststoffplatten. Neuartige Klemmfedern aus Federbronze
ermöglichten den Einbau und die Verdrahtung der Bauelemente. Anstelle
der Flachspulen gab es nun Zylinderspulen, die man bei einem Verlust
sich auch selbst herstellen konnte. Die rasante Entwicklung der
Halbleitertechnik erforderte ein neues Deckelbild. Das bunte Deckelbild
zeigte im Hintergrund den damals neuen Stuttgarter Fernsehturm, aber
der Schüler im Vordergrund werkelte noch immer mit Holzbrett,
Flachspulen und Vakuumröhre. Ein roter Aufkleber Neu: Mit Transistor
und Diode kündete das neue Zeitalter an.
Aufbau von Versuch 110 Rückkopplung mit Regelung durch Kondensator. Audion mit der Röhre EF98 und Zylinderspulen.
Aufbauzeichnung und
Schaltbild von Versuch 110 Rückkopplung mit Regelung durch Kondensator.
Audion mit der Röhre EF98. Anleitung Radiomann, 22. Auflage, S. 76,
Kosmos 1970
Der Versuch 110 funktionierte auch mit einer Anodenspannung von nur 9
Volt befriedigend. Allerdings musste man zuvor die 7 Verbindungsfedern
zu den Röhrenstiften von Oxidationsbelägen reinigen und aufbiegen, um
gute Kontakte zu ermöglichen. Auch alle anderen Verbindungen mussten
überprüft und gegebenenfalls gereinigt werden, um Übergangswiderstände
zu vermeiden. Der Radiomann mit Transistor und Radioröhre EF98 erlebte
bis zum Jahr 1971 zehn weitere Auflagen.
4. Audion mit Röhre ECC82 (Jubiläums-Radiomann)
Deckelbild des neuen Radiomanns zum 70. Jubiläum 2004
Der Kosmos-Verlag brachte im Jahr 2004 zum 70. Jubiläum des Radiomanns
ein nostalgisches Retro-Radio mit der Röhre ECC82 heraus, die mit
Drehkondensator, Korbbodenspule und Übertrager auf einer Holzkonsole
thronte. Die 32-seitige Anleitung schrieb B. Kainka. Der schöne
Baukasten fand große Resonanz und war bald vergriffen. Die ECC82/12AU7
ist eine Doppeltriode, die mit 6 oder 12 Volt beheizt werden kann und
viel in Röhrenverstärkern eingesetzt wurde. Im Jubiläums-Radiomann
arbeitet die erste Triode als Audion, die zweite als Verstärker. Acht
AA-Zellen liefern 12 Volt sowohl für die Röhrenheizung als auch für die
Anodenspannung.
Schaltbild des Empfängers des Jubiläums-Radiomann von B. Kainka, Kosmos 2004
Den Jubiläums-Radiomann habe ich für Lautsprecherempfang mit dem
NF-Verstärker LM386, Potenziometer, Lautsprecher sowie einer Buchse für
ein externes Netzgerät erweitert.
Unterseite der Konsole mit eingebautem NF-Verstärker und Lautsprecher
Jubiläum-Radiomann mit
der Röhre ECC82 von B. Kainka, Kosmos 2004. Nachträglich wurde hier ein
Verstärker für Lautsprecherwiedergabe in die Konsole eingebaut.
Die
erfolgreichen Röhren-Versuche mit den historischen Experimentierkästen
bestätigen einmal mehr den Aufruf von Dietrich Drahtlos:
Alte Röhren
soll niemand zerstören!
Siehe auch: