Der NoName-Oszillator
Experimente


Peter Gerber, HB9BNI




Illustration eine der vielen möglichen Schaltungen


Bemerkungen 1: Die Hochpässe haben ihre Widerstände zur positiven Spannungsversorgung. Das ist kein Problem, auch die positive Spannungsleitung ist für Wechselspannungen auf Massepotential. 2: Der dritte Hochpass (derjenige am weitesten links im Bild) hat praktisch den gleichen Shuntwiderstand wie die beiden anderen Sektionen, da die 100k und die 27k für Wechselspannungen parallelgeschaltet sind. Das ergibt dann 21.25 kOhm.


Dieser Oszillator hat eine traurige Vergangenheit. Zwar kommt er überall vor, seit Jahrzehnten, aber immer ist er vaterlos. Kein Eponym ziert sein Auftreten, meist heisst er einfach nur „RC Phasenschieberoszillator“. Die Namensfindung ist offenbar kein einfach zu lösendes Problem, so schreibt noch 2019 der Autor K. Tripetch in einem Artikel ( K. Tripetch: An analysis of a BJT high frequency phase shift amplifier in a polynomial form. WSEAS TRANSACTIONS on CIRCUITS and SYSTEMS, Vol 18, 2019, p 174-178)

 

 


 

Meine erste Begegnung mit diesem Oszillator muss 1964 oder 1965 stattgefunden haben, ich erhielt einen Elektronikbastelkasten von Philips, den EE20. Eine der damit aufbaubaren Schaltungen war ein Morse-Übungsgenerator, und da ich Funkamateur werden wollte, wurde der auch bald aufgebaut. Leider existiert mein Kasten nicht mehr, aber es gibt genügend Bilder im Internet.

 

 

 

Vor einigen Jahren habe ich die Schaltung wieder aufgebaut, diesmal gelötet

 


 

 

Meine alten AC126 funktionieren alle nicht mehr, der AC128 mit fast genau gleichen Daten lässt sich aber auch verwenden. Der Einstellregler dient nur zur Abschwächung des Ausgangssignals, das zu hoch war für meine Soundkarte. Der Oszillator selbst ist nicht einstellbar und nicht geregelt.

 

Die Oszillogramme sind, nun ja, nicht gerade reiner Sinus, zumindest nicht nach der Passage des Signals durch das Phasenschiebernetzwerk (gelbes Signal):


 

Blau: Kollektor, 8 Vss, gelb: Basis, 25 mVss , Abschwächung durch das Netzwerk auf 1 /32. Erstaunlich, was so ein einzelner Transistor an Spannungsverstärkung bringt. Betriebsspannung 9 V.

 

 

Das ist das Spektrum des per Soundkarte digitalisierten Ausgangssignals, erstellt mit Audacity. Je nach verwendetem FFT-Fenster und nach der Aussteuerung der Aufnahme ist die erste Harmonische 12 bis 34 dB unter der Grundwelle.

 

CC BY-NC-ND


Teil 2:

Der Phasenschieberoszillator

Etwas Theorie


Die Theorie dieses Oszillators ist kein Geheimnis. Der Phasenschieber besteht aus 3 (manchmal 4) einfachen Sektionen eines RC Hochpasses (in den obigen zwei Beispielen) oder Tiefpasses. Bei 3 Sektionen wird das Netzwerk so betrieben, dass jede Sektion 60 Grad Phasenverschiebung bringt, zusammen also 180 Grad. Demensprechend muss der Verstärker weitere 180 Grad Phasenverschiebung haben, damit die Schaltung schwingt. So jedenfalls geht die übliche Erklärung.

 

Ein HP oder TP mit einer RC-Sektion, die bei 60 Grad Phasenverschiebung betrieben wird, hat eine Verstärkung von 0.5, bringt also am Ausgang die halbe Eingangsspannung. Natürlich nur, wenn die Quelle vor dem Netzwerk einen Innenwiderstand von null und wenn die nächste Stufe einen Eingangswiderstand von unendlich hat. Man könnte die 3 Stufen jeweils durch einen guten Trennverstärker (z.B. einen nicht-invertierenden OpAmp mit Verstärkung 1) voneinander isolieren und bekäme dann bei drei Stufen à 60 Grad eine Ausgangsamplitude von 0.5 * 0.5 * 0.5 = 0.125, also eine notwendige Spannungsverstärkung von 8.

 

Das kann man mit LTSpice natürlich testen. Hier 3 Hochpässe mit jeweils 2.7 nF Kapazität und 47k Widerstand, jeweils gepuffert mit einem OpAmp mit Verstärkung 1.

 



Das folgende Bild zeigt Amplitude und Phase (also das Bode-Diagramm) nach den drei OPAmps (grün, blau, rot, Amplituden durchgezogen, Phasen punktiert). Ich habe Die Software so konfiguriert, dass das Signal nach dem dritten OpAmp (rot) bei einer Phase von 180 Grad "springt". Das ist kein realer Phasensprung, sondern ein optischer Effekt. Die pinkfarbige Phase läuft kontinierlich von -178 Grad, -179 Grad auf – 180 Grad und dann auf -181 Grad, die dargestellt werden als + 179 Grad. Der Ort des „Phasensprungs" markiert die Frequenz, mit der dieser RC-Oszillator schwingen würde, wäre das Netzwerk mit einem geeigneten Spannungsverstärker verbunden, der die Phase um weitere 180 Grad dreht.

 

 

Man kann nun die Amplituden und Phasen ablesen: Am Ort des „Phasensprungs", also bei ca 723 Hz, hat das grüne Signal (nach dem ersten OpAmp) eine Amplitude von 500 mV und eine Phase von +60 Grad. Das blaue Signal nach dem zweiten OpAmp hat eine Amplitude von 250 mV und eine Phase von + 120 Grad. Die Amplitude nach dem dritten OpAmp (rot) beträgt 125 mV und die Phase springt bei +/- 180 Grad. Das bestätigt die obige Theorie.

 

Der mit gepufferten Hochpässen aufgebaute Oszillator funktioniert, allerdings nur mit zusätzlichen Bauteilen. Wenn ich ihn aufbaue mit 3 gepufferten Hochpässen, einer Phaseninversionstufe mit Verstärkung 1 und einem nicht-invertierenden Verstärker mit Verstärkung knapp über 8, so schwingt das Ding in der Simulation mit über 100 kHz. Allerdings ist zusätzlich eine Amplitudenvariation mit der errechneten Grundfrequenz von gut 720 Hz sichtbar.

 

 

Wenn ich die Verstärkerkette am Ausgang resistiv und kapazitiv belaste (mit immerhin 1 kOhm und 100 Mikrofrarad, die rot umrandeten Elemente) und die Spannungsverstärkung deutlich erhöhe (auf 25), so schwingt der gepufferte Oszillator auf der erwarteten Frequenz. Allerdings sind im Spektrum die unerwünschten Schwingungen weit oberhalb der Nutzfrequenz immer noch sichtbar.

 

 

Niedrige Ausgangsimpedanzen und hohe Eingangsimpedanzen sind eben bei Verstärkern nicht immer hilfreich.

 

Da im nicht gepufferten Netzwerk die Stufen sich gegenseitig belasten, ist die notwendige Verstärkung bei der nicht-gepufferten Version grösser (ca 29 bei 3 Stufen und 18 bei 4 Stufen) und die Phasenverschiebung ist nicht in jeder Stufe genau gleich. Letzteres führt auch zu einer geänderten Frequenz gegenüber einer gepufferten Version.

 

Für das dreistufige Netzwerk gilt: Die gepufferte Hochpassversion hätte die Phasenverschiebung von 3 x 60 = 180 Grad bei , die nicht gepufferte Hochpassversion bei , die gepufferte Tiefpassversion bei , die nicht gepufferte Tiefpassversion bei .

 

Für das vierstufige Netzwerk gilt: Die gepufferte Hochpassversion hätte die Phasenverschiebung von 4 x 45 = 180 Grad bei , die nicht gepufferte Hochpassversion bei , die gepufferte Tiefpassversion bei , die nicht gepufferte Tiefpassversion bei . (Diesen Faktor hatten schon E. L. Ginzton und L. M. Hollingsworth 1941 publiziert: Phase shift oscillators. Proc IRE, Vol 29, pp 43 –49. Diese Arbeit ist nicht erhältlich. Ich habe den Faktor aus S. Sherr: Generalized Equations for RC Phase-Shift Oscillators. Proc IRE, 1954, July, pp 1169 - 1172 . Dort sind auch Faktoren für mehr als 4 Stufen aufgeführt.)

 

CC BY-NC-ND

Teil 3:

Der NoName-Oszillator

Simulation mit LTSpice



 

 

 

 

Ich habe eine der vielen Schaltungen in LTSpice nachgebaut. Alle Teile vorhanden, sogar der angegebene Transistor. Die Grenzfrequenz einer HP-Stufe mit 2.7nF und 47kOhm beträgt 1254 Hz. Allerdings ist der Widerstand der 4. Stufe etwas kleiner, ca 26 kOhm. Es handelt sich um ein vierstufiges Netzwerk, eine gepufferte Version würde mit der Grenzfrequenz einer einzelnen HP-Stufe, also mit 1254 Hz schwingen. Bei der ungepufferten Version mit 4 Stufen beträgt der Korrekturfaktor  = 1.195. Bei einem 4-stufigen HP tritt dieser Faktor im Nenner auf, die die rechnerische Schwingfrequenz müsste um diesen Faktor kleiner sein, also 1050 Hz betragen.


Der LTSpice-Nachbau schwingt mit einer Frequenz von 1058 Hz, also einer Periodendauer von 945 Mikrosekunden. Die Zeitabstände zwischen den Maxima bzw Minima am Eingang und am Ausgang jeder der 4 Stufen sollte also jeweils 118 Mikrosekunden betragen, zusammen 472 Mikrosekunden für die 180 Grad Phasenvereschiebung.

 

Die Messung ist nicht einfach, da sowohl Maxima wie Minima wegen des hohen Gleichspannungsabstandes sehr flach dargestellt werden. Immerhin wird ja die Spannung bei Einstellen der Cursoren angezeigt.

 

 

Bild vor dem letzten C (C2 im LTC-Schema, grün) und direkt an der Basis (blau). Mit Pfeilen markiert die beiden Cursor als Beispiel für die Problematik der Messung.

 

Die Summe der 4 Zeitabstände zwischen den Maxima misst 435 Mikrosekunden, zwischen den Minima 572 Mikrosekunden. Die Messung ist also ziemlich ungenau.

 

 

Auch das Spektrum ist nicht berauschend.

CC BY-NC-ND


Teil 4:

 


Der NoName-Oszillator

Entwicklungen von Sulzer und Nichols


Auftritt 1948 ( Sulzer P.: The Tappered Phase Shift Oscillator. Proc. IRE, 1948. Oct. 1302 - 1305), von Peter Sulzer, damals noch "associate" der IRE. Sulzer beklagt sich, dass sowohl das Netzwerk mit 3 Stufen wie auch dasjenige mit 4 Stufen derart große Abschwächungen erzeugen (um den Faktor 29 bzw 18), dass man mit einer der üblichen Trioden nicht genügend Spannungsverstärkung erreicht, um den Oszillator zum Schwingen zu bringen. Es gab zwar bereits Trioden mit höherer Spannungsverstärkung („high-mu-Trioden“), die waren aber deutlich teurer. Es half auch nicht, einfach zwei günstige Trioden zu verwenden, die hatten dann die falsche Phasenverschiebung und drei Trioden für einen NF-Oszillator war dann wohl doch zu viel.

 

Intermezzo: die Triode

 

 

Das obige Bild zeigt ein rudimentäres Schaltschema einer Triode: links die Eingangsspannung zwischen Gitter und Masse, oben die Betriebsspannung und rechts die resultierende Ausgangsspannung zwischen der Anode und Masse. Je grösser der Strom durch die Röhre ist, desto mehr der Versorgungsspannung fällt am Arbeitswiderstand R1 ab.

 

Die Funktion einer Röhre wird üblicherweise wie folgt dargestellt

 

 

Das Digaramm stellt den Zusammenhang zwischen der Spannung des Gitters relativ zur Kathode auf der horizontalen Achse und dem Strom durch die Röhre auf der vertikalen Achse als unten abgebogene Linie, der Übertragungskennlinie dar. Vorausgesetzt ist eine konstante Spannung der Anode in Bezug auf die Kathode, also ein Arbeitswiderstand von 0 Ohm. Die Physik verlangt dabei bei fast allen Röhren, dass die Spannung am Gitter (horizontale Achse) negativ ist in Bezug auf die Kathode. Will man einen einigermassen linearen Verstärker, wird diese Gittervorspannung so eingestellt, dass sie ohne Signal etwa in der Mitte des geraden Abschnittes der Übertragunskennlinie liegt. Dieser Punkt, der Arbeitspunkt, ist im Diagramm mit „A“ gekennzeichnet.

 

Legt man nun eine Wechselspannung zusätzlich an das Gitter (im Diagramm von unten nach oben laufende Sinuskurve), so resultiert dann der nach rechts laufende Verlauf des Anodenstroms. Gitterspannung und Anodenstrom sind dabei in Phase: hohe (= weniger negative Gitterspannung ergibt einen hohen Anodenstrom).

 

Das alles nützt nun vorerst gar nichts. Die ganze Leistung, die die Röhre aufnimmt (Anodenspannung x Anodenstrom) wird in Wärme umgewandelt, fast alles an der Anode. Man muss den fliessenden Strom in eine Spannung umwandeln. Das geschieht durch das Einschalten eines Bauteils zwischen Betriebsspannung und Anode. Dazu ist jedes Bauteil geeignet, das Gleichstrom durchlässt: Ohm’scher Widestand, Drossel, Tansformator, Parallelschwingkreis, Glühlampe, Heizstrahler etc. Dieses Bauteil sorgt dann für einen Spannungsunterschied zwischen Betriebsspannung und Anode und damit auch zwischen Anode und Masse. Dieser Spannungsunterschied kann weitergeleitet/gemessen werden. Falls es sich bei der Eingangsspannung am Gitter um eine Wechselspannung handelt, erscheint die Wechselspannung zwischen Anode und Masse invertiert, hat also eine breitbandige Phsenverschiebung von 180 Grad.

 

Weil nun die Spannung an der Anode nicht mehr konstant ist, und die Arbeitskennlinie nur für eine konstante Anodenspannung gilt, muss man eine neue, „dynamische“ Arbeitskennlinie errechnen, die dann die Funktion der Stufe bestimmt. Wenn man, wie oben, einen Ohm’schen Widerstand einfügt, braucht man neben der Betriebsspannung auch noch ein weiteres Kennlinienfeld, das im Prinzip die gleichen Daten verwendet wie das Transferkennlinienfeld, diese aber anders darstellt: Die Abhängigkeit des Anodenstroms von der Anodenspannung (also nicht von der Betriebsspannung) bei unterschiedlichen Gittervorspannungen.

 

Für die folgende Analyse habe ich den Arbeitswiederstand zu 15 kOhm und die Betriebsspannung zu 300V gewählt. In der folgenden Darstellung ist die Konstruktion der dynamischen Transferkennlinie anhand der beiden Tennlinienfelder für die Triode 6C4 demonstriert; in der Doppeltriode ECC82 (Diese Röhre wird heute noch produziert, die Abbildung ist aus dem Datenblatt von JJ. Sie wird gerne von „Audiophilen“ in Vorvertärkern für Guitarren eingesetzt, aber auch für HiFi-Röhrenendstufen. Sie sorgt dort für den offenbar verbreitet beliebten „Triodenklang“, bzw für die nichtlinearen Verzerrungen, die diesen Triodenklang kennzeichnen.) sind zwei solche Systeme enthalten. Die 6C4 war in den 1940er Jahren eine „bessere“ („medium-mu“) Feld- Wald- und Wiesentriode.

 

 

Zuerst wird in das Anodenkennlinienfeld (rechte Hälfte), die die Abhängigkeit des Anodenstroms (vertikale Achse) von der Anodenspannung (horizontale Achse) zeigt, die sogenannte Widerstanslinie (rot) eingezeichnet. Die beiden Endpunkte dieser Linie werden anhand der Betriebsspannung (300V) und des Arbeitswiderstandes (15kOhm) bestimmt: 300 V lassen durch 15 kOhm 20 mA fliessen, das ergibt den Endpunkt auf der Ordinate. Schwarz ist auch die sogenannte Verlusthyperbel eingezeichnet, die die maximal verkraftbare Wärmeproduktion an der Anode darstellt. Verweilt der Zustand der Röhre längere Zeit oberhalb dieser Linie, kann die Anode Schmelzen. Zulässig ist eine Verlustleistung der Anode von 2.75 W. Die beiden blauen Punkte zeigen zwei der Schnittpunkte dieser roten Widerstandslinie mit der Schar der IA / UA  – Linien bei verschiednenen Gitterspannungen. Der linke blaue Punkt liegt auf der Gitterspannungslinie 0V und lässt auf der ordinate den dann fliessenden Anodenstrom von 13 mA ablesen. Auf der Abszisse lässt sich für diesen linken Punkt die in dieser Situation noch anliegende Anodenspannung ablesen, gut 100 V. Diese Werte, 100V und 13 mA werden nun auf das linke Kennlinienfeld übertragen, es ist der dort am weitesten rechtes liegende grüne Punkt. Entsprechendes gilt für den rechten der blauen Punkte, der im linken Kennlinienfeld dem am weitesten links eingezeichneten grünen Punkt entspricht. Dazu habe ich noch zwei weitere grüne Punkte bestimmt und eingetragen und sie mit einer grünen Linie verbunden. Man sieht, dass diese „dynamische“ grüne Linie deutlich stärker gebogen und deutlich weniger steil ist. Die Spannungsverstärkung der Triode ist also deutlich kleiner als der im Datenblatt angegebene Wert. Im Datenblatt steht ein mu-Wert von rund 17, die Spannungsverstärkung der Triode mit diesen Randbedingungen beträgt knapp über 10.

 

Immerhin versteht man jetzt, dass in der Frühzeit der Röhrentechnik fast alle NF-Verstärker mit Transformatorenkoppelung betrieben wurden.

 

 

Die Transformatoren transformierten die Spannung immer aufwärts, so auch hier. Aus „Des Funkbastlers Ratgeber“, Informationsbroschüre der Firma Anschütz (1926), die solche Transformatoren herstellte. Siehe http://www.tubebooks.org/technical_books_online.htm . Anschütz produzierte auch andere Geräte, vor allem Kreiselkompasse. Wegen eines Patentstreits zog man einen Patentfachmann zu, einen gewissen Albert Einstein.

 

Zurück zu Peter Sulzer

Sulzer empfahl deshalb, die drei Stufen des Netzwerkes zwar mit der gleichen Grenzfrequenz zu bemessen, aber mit unterschiedlicher Impedanz. Anderes gesagt: am Eingang des Netzwerkes grosse Kapazitäten und kleine Widerstände, am Ausgang umgekehrt, und das bei gleichem R*C in allen Stufen. Eine Röhre (Für moderne Leute: Diese Dinger, Röhren genannt, entprechen einem N-Kanal-JFET. Falls mehr als drei Drähte dran sind, vertraue man dem Entwickler, dass er diese Drähte mit den korrekten Spannungen und Strömen versorgt hat. Paraphrasiert nach Jim Williams.) in Kathodenbasisschaltung hat ja eine vergleichsweise niedrige Ausgangsimpedanz (einige kOhm) aber eine sehr hohe Eingangsimpedanz (weit über einige MOhm), die allerdings verkleinert wird durch den notwendigen Gitterableitwiderstand, dessen maximale Grösse in den Datenblättern angegeben ist und jeweils um 1 – 2 MOhm beträgt.

 

Sulzer definiert einen Skalierungsfaktor a, mit dem in der Hochpassversion die Kapazität jeder Stufe kleiner und der Widerstand grösser wird. Dabei kann man das Prinzip problemlos auch nur approximativ umsetzen. Im rechten Beispiel verwendet er mal den Faktor 3, dann in der nächsten Stufe den Faktor 3.33. Der letzte Widerstand (1.5 MOhm) ist der maximal zulässige Gitterableitwiederstand der verwendeten Röhre 12AU7, identisch mit der ECC 82.

 

.

 

Der Effekt ist dramatisch. Sulzer berechnet die Abschwächung des Netzwerkes (und damit die benötigte Spannungsverstärkung der Röhre) in Funktion dieses Skalierungsfaktors a für ein Netzwerk mit 3 und mit 4 Sektionen

 

 

Mit einem Skalierungsfaktor von 3 kommt er bei drei Sektionen von einer notwendigen Spannungsverstärkung von 29 runter auf 13, bei 4 Sektionen von 18 runter auf knapp 7!

 

Allerdings ändert sich auch die Frequenz. Der oben als  bezeichnete Koeffizient bei der Frequenzformel, der also 2.44 beträgt, fällt bei einem a von 3 auf gut 1.9. Bei einem Netzwerk mit 4 Sektionen fällt er von 1.195 bei a =1 auf unwesentlich über 1 bei a = 3.

 

Leider leider nennt auch Sulzer diesen Oszillatortyp auch nur „phase shift oscillator", ohne den Erzeuger zu nennen. Kein Eponym kann diesem Oszillatortyp zugeordnet werden, nicht einem die vormals übliche Lösung für die Benennung, wie der Name des Kirchenpatrons des Ablegeortes, ein Wochentag wie „Freitag“ bei Robinson, ein Monatsname wie „Janvier“ bei Kommissar Maigret, noch nicht mal ein Monatsdatum wie beim früheren Erzbischof von Paris (und Kardinal) André Vingt-Trois (Die französischsprachige Wikipedia schreibt dazu: Son patronyme sous forme de nombre a vraisemblablement été donné à un ancêtre orphelin abandonné : cela pourrait être « le numéro d'une porte ou le numéro d'un lit ou le numéro du jour ». https://fr.wikipedia.org/wiki/Andr%C3%A9_Vingt-Trois). Das Kind ist und bleibt ein vaterloses Findelkind.

 

It is always darkest before the dawn

Auf der Suche nach dem Vater des „phase shift oscillator" habe ich auch viele Artikel in populärwissenschaftlichen Publikationen angeschaut, "QST", zum Beispiel, der Zeitschrift der US-Funkamateuren, die ARRL Handbücher, „Popular Mechanics“, die auch elektrische Apparate behandelte, was immer als Digitalisat zur Verfügung stand. Irgendwie mussten ja die Funker in der ersten Häfte des 20. Jahrhunderts  (Die Frage, wie die Telegrafisten im 19. Jahrhundert das Morsen gelernt hatten erübrigt sich. Über Leitungen wurde mit Gleichspannungsimpulsen telegrafiert und die wurden am Empfangsort aufgezeichnet oder ein entsprechendes Messgerät beobachtet.) das Morsen lernen, brauchten also Übungsoszillatoren. Die gab es zu Hauf, fast immer einfache Meißner-Oszillatoren mit einem NF-Trafo als Phasendreher, manchmal auch mit einer einfachen Drossel und einem Parallel-C. Manchmal auch einfache Summer (Ein Beispiel findet sich hier: http://www.elektronik-labor.de/Labortagebuch/Tagebuch0722.html#cw), also Elektromagnete, die mit einem mechanischen Schalter versehen waren, der die Spannung unterbrach, wenn sich das Magnetfeld aufbaute. Hausklingeln funktionierten früher auch so. Auch professionelle Tonfrequenzgeneratoren waren vor 1940 keine RC-Generatoren, sondern hatten LC-Schwingkreise oder waren Überlagerungsoszis.

 

Bei der Suche nach wissenschaftlichen Artikeln habe ich auch einen kleinen Fehler gemacht. Irrtümlich habe ich eine Seite erwischt, die nicht den gesuchten Artikel enthielt, sondern die in diesem Artikel verwendete Literatur. Und eine dieser Literaturstellen war auch mit einem Link versehen, den ich anklickte. Eine Masterarbeit der Boston University von 1948. „Serendipity“ nennt man solche glückliche kleine Zufälle und Fehlleistungen.

 

 

und diese Arbeit enthält auf Seite 3 die Bemerkung

 

 

Und in der Fussnote 5: U.S.Patent 1,442,781, January 16, 1923 (filed July 7, 1921)

 

Ansonsten ist die Arbeit von Woods über weite Strecken ein sehr naher Verwandter des Textes von Sulzer: auch Woods untersucht (unter anderem) RC-Netzwerke mit ungleichen R’s und C’s, das „a“ von Sulzer, das Woods auch als „a" bezeichnet, beträgt hier ca 2.

 

 

Hier mit einem direkt (galvanisch) gekoppelten Kathodenfolger als Impedanzwandler. Der Rückkoppelungsweg ist nicht gezeichnet, das x rechts oben ist mit dem x links zu verbinden. Das mit NE-51 bezeichnete Bauteil stabilisiert die Betriebsspannung der ersten Röhre V1

 

H.W.Nichols und das US-Patent 1442781

Google Patents liefert das Patent von Nichols sofort; Roy Woods hatte für seine Masterarbeit mehr Probleme, ihm stand offenbar nur eine auszugsweise Kopie zur Verfügung. Und, tatsächlich, in der Patentschrift von Nichols mit dem Titel "Reamplifying System“ findet man, neben anderen Schemata

 

 

mit der Beschreibung

 


 

 

 

 

 

 

 

und, weiter unten

 

The Sections of the network may be made alike, in which case the network is termed “iterative,” or they may be unlike. In the case of the iterative network, the phase shift and attenuation are the same for each mesh and it is accordingly possible to readily calculate the phase shift and attenuation produced by the network as a whole or conversely to determine the constants of the network which will produce a definite phase shift and attenuation at a given frequency. The method of calculation for iterative networks is similar to that by which the constants are determined for reactive iterative networks as set forth in United States patents to G. A. Campbell, nos. 1227,113 and 1,227,114 patented May 22, 1917. The frequency of the oscillations and the amplifying power necessary to produce them may be calculated in the manner outlined in the article entitled “The audion as a circuit element Physical Review, N. S. volume 13, No. 6, June, 1919. Note particularly pages 412 to 414 inclusive. (Die beiden erwähnten US-Patente 1227113 und 1227114 von Campbell (erteilt 22. Mai 1917) haben den gleichen Text und betreffen einerseits mehrere LC-Bandpassfilter und andererseits einen mit diesen Filtern gebauten bidirektionalen Verstärker für Telefonleitungen.)

 

Der Ausdruck in der zweitletzten Linie „The audion as a circuit element“ mag erstaunen. Wir verstehen heute unter einem „Audion“ einen Rückkoppelungsempfänger, nicht ein Bauteil. Damals war „audion“ ein Markenname, zuerst für eine Art Restgas enthaltende Dioden (Siehe US patent 841386), dann wenig später und fast ausschliesslich für Trioden eines bestimmten Herstellers, Lee de Forest. Der hatte wohl mit Nachahmern zu kämpfen:

 

 

(aus einer zeitgenössischen (1916) Werbung. Siehe https://en.wikipedia.org/wiki/Audion#/media/File:Audion_vacuum_tube_advertisement.png

 

Nichols beschreibt auch die Daten eines Oszillators, den er gebaut habe, allerdings handelt es sich dabei um einen Röhrenoszillator mit einem RLC-Netzwerk. Er behauptet nicht, dass er die beiden oben abgebildeten reinen RC-Oszillatoren gebaut hat. Gut, das war ja erst 15 Jahre nach Erfindung der Elektronenröhre. Wahrscheinlich wäre eine Spannungsverstärkung von 19 mit einer damaligen Triode nicht erreicht worden.

 

Eine der Abbildungen zeigt auch einen Rückkoppelungsempfänger, Meißner Schaltung.

 

 

Das nächste Mal, wenn ich über diesen RC-Oszillator  schreibe, heisst der Titel dann

 

 

 

Der Nichols-Oszillator

 

CC BY-NC-ND